"Lean" ist nicht das Problem - aber vielleicht wir

Warum es uns schwerfällt, Lean in Organisationen zu etablieren - und wie es dennoch gelingen kann.

„Lean? Hatten wir schon.“ Diesen Satz hören wir oft und er zeigt in der Analyse: Lean wird häufig mit falschen Erwartungen gestartet und rasch wieder fallen gelassen. Doch nicht der Lean-Ansatz selbst ist gescheitert. Vielmehr wurde er für etwas angewandt, für das er nie geschaffen wurde: kurzfristige Optimierung.

Was zunächst ernüchternd klingt, ist eigentlich ein Aufruf zur Reflexion. Denn Lean ist keine Toolbox mit Sofortwirkung, sondern eine Haltung, die hilft, sich kontinuierlich zu verbessern. Und insbesondere in Zeiten digitaler Vernetzung und Automatisierung kann dieser Ansatz eine stabile Basis darstellen. Vorausgesetzt, man erkennt im Kern, wozu er geschaffen wurde.

Dass Lean keine seelenlose Toolbox ist, wissen wir längst. Trotzdem scheitern weiterhin viele Projekte in den Unternehmen. Warum ist das so?

Zwischen Trivialität und Komplexität

In der betrieblichen Praxis begegnen uns zwei Extremsituationen, die Lean in seiner Wirkung schwächen:

Da ist einerseits die Trivialisierung: Lean wird auf Werkzeuge reduziert. Methoden wie 5S, SMED oder Value Stream Mapping werden eingeführt - oft ohne dabei auf wichtige Aspekte der Organisations- und Führungskräfteentwicklung einzugehen. Anfangs funktioniert das noch irgendwie, aber schon bald verliert das gut gemeinte Projekt an Schwung. Häufig bleiben dann nur leere Fragmente der damaligen Initiativen zurück.

Auf der anderen Seite steht eine zu komplexe und komplizierte Darstellung: Lean erscheint als theoretisches Konstrukt mit Säulen, Prinzipien und Hochglanzpostern - weit entfernt vom Shopfloor, auch wenn vieles fachlich korrekt ist.

Die Folge: Lean verkommt zum „alten Schuh“, der in dieser Form allerdings auch nie richtig passen konnte. Der Begriff ist im Unternehmen fortan verbrannt. Zu Unrecht.

Lean - zwischen Kultur-Ansatz und Quartalsbericht

Ein oft übersehenes Problem: Lean passt nicht zur Taktung des Quartalsberichts - oder welcher Berichtstakt auch immer bei Ihnen gilt.

Lean braucht Zeit zum Lernen, Erproben, Testen und Verankern. Investitionen hingegen müssen im Management oft kurzfristige Ergebnisse liefern (und wir können das verstehen). Ein langfristiges Systemdenken steht in diesem Kontext in einem starken Widerspruch. Lean ist ein kultureller Wandel, ein Transformationsprojekt, dessen Früchte wir in der Regel nicht drei Monate später in Form von Zahlen in Excel-Tabellen bewundern dürfen. Es ist ein Change Prozess mit all seinen Facetten.

Oft verändern wir Prozesse, die Jahrzehnte gewachsen sind - das gelingt nicht im Takt des Reporting-Zyklus. Wer diesen Konflikt unterschätzt, riskiert ein weiteres Lean-Projekt für die “Hall of Shame”.

Vielleicht können Sie sich nun vorstellen, welche Chancen ein 5S-Projekt hat, was innerhalb einer Woche “durchgezogen” wird. Unserer Erfahrung nach brauchen Pilotprojekte dieser Art mehrere Wochen, um grundlegende Akzeptanz zu bekommen und ein anderes Denken zu trainieren. Es ist nachvollziehbar, dass wir versuchen, Erfolg anhand von Zahlen auszudrücken - insbesondere im Geschäftsleben. Oft wird geprüft, ob sich ein 5S-Projekt irgendwie “rechnen” lässt und bspw. eine Verfügbarkeit oder eine Schrottquote mit diesem Projekt in Verbindung gebracht werden kann. Reflexartig werden Fotos von Vorher- und Nachher-Zuständen gemacht. Und das ist auch alles gut und nachvollziehbar. Aber die wichtigste Veränderung können wir weder rechnen noch fotografieren: die Veränderung in unserem Kopf.

Wer sich jedoch des Konflikts bewusst ist und dieses Dilemma offen und ehrlich im Management adressiert, legt die Grundlage für nachhaltigen Erfolg.

Drei Perspektiven - ein gemeinsamer Blick: Mensch, Prozess, Technik

Wann hat Lean denn nun Erfolg? Aus unserer Sicht immer dann, wenn sich drei wichtige Perspektiven zu einem klaren Blick vereinen:

Perspektive Mensch: Veränderung beginnt mit den Menschen - nicht an ihnen vorbei. Von Grund auf möchte niemand ineffizient arbeiten. Wir brauchen nur die Möglichkeit, Verschwendung zu erkennen und die Fähigkeit, sie zu beseitigen. Ein positives Menschenbild ist deshalb von zentraler Bedeutung. Führungskräfte müssen Vertrauen schaffen, Orientierung geben und den Raum für kontinuierliche Verbesserung bereitstellen. Beziehen wir die agierenden Menschen nicht mit ein, steht das Vorhaben unter einem schlechten Stern.

Perspektive Prozess: Es geht darum, Prozesse wirklich zu verstehen und eine tiefe Kenntnis des Gemba (japanisch: Ort des Geschehens) zu haben - immer im Sinne des Kunden. Kleine, konsequente Schritte sind dabei wirksamer als übergroße Sprünge. Konkret: Beginnen Sie mit Verbesserung - morgen Früh. Wir rufen unsere Workshop-Teilnehmer häufig dazu auf, jetzt in die Produktion zu gehen, mit den Menschen zu reden und einen Verbesserungsvorschlag mitzubringen. Die Einfachheit dieser Anforderung führt zunächst zum Erstaunen der Teilnehmer.

Perspektive Technik: Technologie eröffnet neue Wege und Chancen - repariert jedoch keine instabilen Prozesse im Unternehmen. Im Gegenteil: Wir alle kennen das Zitat: Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, erhält einen schlechten digitalen Prozess. Und dennoch werden wir immer wieder zu eben diesen “Tatorten” gerufen.

Lean muss spürbar entlasten

Nur wenn sich Abläufe durch Lean konkret verbessern, entsteht Akzeptanz, Motivation und Engagement.

Veränderung braucht Leidenschaft. Es reicht nicht aus, Methoden einzuführen. Nicht falsch verstehen: Die Lean-Methoden sind allesamt wunderbar. Aber letztlich sind sie nur ein Werkzeug. Wenn ein Schreiner leidenschaftlich mit seinem Werkzeug ein großartiges Möbelstück herstellt, dann werden wir diese Leidenschaft in diesem Möbelstück erkennen - ganz sicher. Und genau so wird es auch in Ihren 5S, SMED oder Wertstrom-Projekten sein. Skalieren Sie Ihre Leidenschaft, dann skaliert Ihr Business fast von selbst.

Die Frage aller Fragen: Wozu machen wir das eigentlich? Menschen folgen, wenn Sie den Sinn erkennen. Und ja, wir müssen auch ehrlich darüber sprechen, dass wir - egal wie groß unsere Bemühungen sein werden - einen kleinen prozentualen Anteil an Menschen nicht für unser Vorhaben begeistern werden. Das ist aber nicht weiter tragisch, solange der Löwenanteil der Belegschaft von der Begeisterung angesteckt werden kann. Sie haben als Führungskraft also eine ganz entscheidende Rolle.

Fazit: Lean ist ein kultureller Ansatz und kein Mechanismus

Alles, worum ich Sie bitten möchte: Beginnen Sie damit, Ihren Gemba täglich aufzusuchen, um dort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Schaffen Sie gemeinsam Verbesserungen im Sinne Ihrer Kunden - zunächst ganz kleine, dann vielleicht etwas größere - nur beginnen Sie morgen damit. Setzen Sie sich erreichbare und dennoch ambitionierte Ziele. Erklären Sie Ihre Vorhaben so, dass der Sinn verstanden wird. Schauen Sie sich Ihren Wertstrom an und fragen Sie sich, was Ihr Kunde dazu sagen würde. Würde er für all das bezahlen?

Sie werden nach einigen Wochen und Monaten merken, dass sich in Ihrem Betrieb etwas Grundlegendes verändert hat. Oft sagen unsere Gesprächspartner: „Ich weiß gar nicht genau, wann es passiert ist - aber wir sind einfach besser geworden.“

Wenn diese Leidenschaft auf Geduld, Klarheit und ein ehrliches Menschenbild trifft, wird Lean funktionieren - nicht als Projekt, sondern als Kulturleistung.

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Lipstick on a pig!